Leseprobe H. Reinhardt
Biografie und Schicksalsmythos
Der Begriff Schicksal und damit verbunden die Schicksalsidee sind vermutlich so alt wie die Menschen selbst. Und doch scheint es, als ob uns, den modernen Menschen, diese Schicksalsidee weitestgehend abhanden gekommen ist. Denn von uns Menschen heute wird überwiegend Nüchternheit, Sachlichkeit, Berechenbarkeit und Planbarkeit erwartet und dem entsprechend leben wir unser Leben in diesen Kategorien. Im modernen Denken hat die Schicksalsidee keinen Platz mehr. Oder kurz gesagt, wir haben die irrationale Schicksalsidee durch den Glauben an das Rationale ersetzt.
Es geht im folgenden Beitrag um die etwas spekulativ klingende Fragestellung, welche Gestaltungskräfte und welche irrationalen Dynamiken individuellen Lebensläufen zugrunde liegen könnten. Und dennoch ist mein Beitrag weniger das Produkt von Spekulationen als das Ergebnis von vielen Jahren praktischer Erfahrung und tiefenpsychologischer Arbeitsweise. Zwar lässt sich das Nachfolgende vielleicht in das Kästchen „Alltagspsychologie“ einsortieren, jedoch geht es mir hierin weniger um die gängigen Kategorien Ängste und Nöte in Partnerschaft und anderen Beziehungslandschaften. Es geht mir weniger um die Bedürfnisse nach Unterstützung bzw. Reparatur von Beziehungslandschaften, sondern es geht mir in diesem Beitrag um die Möglichkeit der inneren Gestaltungskräfte. Um das Woher und das Wohin einer Lebenslinie. Liegt einem biographischen Ablauf vielleicht so etwas wie eine innere Gestaltungskraft zugrunde, die wir nicht in der Hand haben, die wir nicht kontrollieren und steuern können, die also jenseits des Rationalen liegt? Gibt es so etwas wie eine eigenläufige Komponente in einer Biographie, einem Schicksalspfad?
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