Leseprobe M. Hengl
Raus aus dem kognitiven Gefängnis
"Think outside the box!" - diesen Aufruf beansprucht der ehemalige Disney-Manager und Berater Mike Vance seit 1969 für sich. Die Ursprünge dieser Geisteshaltung sind allerdings viel älter. Beispielsweise tauchte bereits 1914 das berühmte Neun-Punkte Problem in den USA auf (siehe Grafik). Das kann nur derjenige lösen, der über den berühmt berüchtigten Tellerrand blickt. Paradoxerweise verstehen viele diesen Anspruch nicht etwa als eine Vision, sondern wortwörtlich als eine (Denk-)Methode. Dabei handelt es sich bei diesem Ansatz sicherlich um eine der schlechtesten Kreativitätstechniken überhaupt. Denn außerhalb der eigenen Rahmenbedingungen zu denken ist für das Gehirn etwas vollständig Neues im radikalen Sinn: Es ist nicht fremdartiger als man denkt, sondern fremdartiger als man denken kann!
Was damit gemeint ist, illustriert eine schöne Geschichte aus Indien, die von Deepak Chopra stammt, einem indisch-amerikanischen (Alternativ-)Mediziner und Buchautor. Wenn in Indien die Mahouts ihre Elefanten trainieren, binden sie die Jungtiere mit dicken Seilen an großen Bäumen fest. Die Tiere sollen sich so nicht losreißen und weglaufen können. Später verwenden die Elefantenführer für ein ausgewachsenes Tier von mehreren Tonnen Gewicht nur eine dünne Wäscheleine, ohne dass es flüchtet. Es reißt sich auch dann nicht los, wenn es Hunger oder Durst hat, obwohl die Schnur kein wirkliches Hindernis darstellt. Die erwachsenen Elefanten können sich nicht befreien, weil sie nie etwas anderes erlebt haben. "Inside the box" können sie keine hilfreichen Daten oder Informationen finden. Jeder Beobachter wundert sich, warum sich die Elefanten nicht trotz aller Kraft losmachen. Doch die Lösung ist für sie außer Reichweite, denn sie liegt "outside the box". Sie leben in einem kognitiven Gefängnis, dessen Gitterstäbe sie weder sehen noch fühlen können.
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